„Wir alle werden Pflegekompetenzen erlernen müssen“

„Wir alle werden Pflegekompetenzen erlernen müssen“

Nachbarschaftsladen Berlinickestraße in Steglitz: Selma Weigelt (links) und Kollegin Susanne Baschinski bangen regelmäßig um Finanzierung. Auf der „Zuhörbank“ ist eine Ehrenamtliche bereit für das nächste „Zuhör-Ründchen“, Foto: Junia Greb-Georges

 
Pflegewissenschaftlerin Katja Boguth meint, jeder und jede müsse die notwendigen Basisfähigkeiten der Pflege erlernen (Das ganze Interview lesen Sie hier). Der bereits bestehende Fachkräftemangel werde sich in den nächsten Jahren massiv verstärken. In Steglitz-Zehlendorf, dem Bezirk mit dem höchsten Altersdurchschnitt in Berlin, gibt es bereits Ideen und Projekte, um die Auswirkungen des demografischen Wandels abzufedern.
 
Deutschland altert und mit ihm auch die Hauptstadt. Bis zum Jahr 2040 wird die Anzahl der Menschen über 80 Jahre in Berlin voraussichtlich um etwa 3,5 Prozent ansteigen. Gleichzeitig vergrößert sich die Zahl der Menschen im Alter von 65 bis unter 80 Jahren um etwa 14,8 Prozent. Es stellt sich die Frage, wer diese Gruppe pflegen wird, wenn die Zahl an Pflegefachkräften abnimmt, während die Gruppe Pflegebedürftiger stetig wächst.
 
Bereits heute reichen die Pflegefachkräfte nicht aus, um den Bedarf zu decken. Katja Boguth, Pflegewissenschaftlerin und Dozentin für klinische Pflegewissenschaften an der Alice Salomon Hochschule für soziale Arbeit, Gesundheit, Erziehung und Bildung in Berlin erklärt: „Pflegebedürftig wird ein großer Teil von uns irgendwann einmal werden. Vier Monate bis zwei Jahre ist die durchschnittliche Zeitspanne, in der jemand gepflegt wird. Die Menschen sind schon heutzutage verzweifelt, weil sie keinen Pflegedienst mit Kapazitäten finden.“
 
 

„Um den Bedarf an Pflegefachkräften zu decken, müsste ab heute jeder vierte Schulabgänger den Pflegeberuf erlernen“, sagt Katja Boguth, Foto: Alice Salomon Hochschule Berlin

 
 
Hilft Ehrenamt gegen den Pflegenotstand? 
 
Pflegewissenschaftlerin Boguth meint, Pflege müsse wieder stärker zurück in die Familien. Aber auch Ehrenamtliche könnten einiges tun, um die Auswirkungen des Fachkräftemangels abzumildern. Dafür müsse man die Arbeit Freiwilliger stärken. Susanne Baschinski, Ansprechpartnerin der Kontaktstelle PflegeEngagement (KPE) im Nachbarschaftsladen Mittelhof e.V. in Steglitz-Zehlendorf, begrüßt dieses Bedürfnis zwar grundsätzlich. Sie vermittelt in ihrem Berufsalltag Ehrenamtliche an Pflegebedürftige, die diese bei leichteren Alltagsaufgaben unterstützen, sich mit ihnen unterhalten oder gemeinsam Freizeit gestalten.  Baschinski sagt aber ganz deutlich: „Ehrenamtliche können kein fest eingeplanter Ausgleich für eine Basisversorgung in der Pflege sein. Beim Ehrenamt soll es auch weiterhin um den psychosozialen Kontakt mit Pflegebedürftigen gehen. Um Gespräche, Spaziergänge oder auch das gemeinsame Ansehen von Fotoalben. Der Staat ist in der Verantwortung, die professionelle Pflege so zu organisieren, dass sie die Menschen gut versorgt, stabil, krisenfest sowie finanzierbar ist und bleibt.“ Sie kritisiert, der Staat käme dieser Aufgabe schon zu lange nicht nach. Es gebe auch keine Modelle, um diesem Anspruch gerecht zu werden, obwohl über das Thema Pflegenotstand bereits seit den 1970-er Jahren diskutiert würde.
 
Begegnungsstätten gegen soziale Isolation 
 
Sowohl Baschinski als auch ihre Kollegin Selma Weigelt, Projektkoordinatorin der Ehrenamtlichen bei der digitalen Nachbarschaftshilfe in Steglitz, und auch Dozentin Boguth sehen Bedarf bei der Einrichtung von Sozialräumen, die in der Nachbarschaft als Begegnungsstätten dienen könnten. Diese seien ein niedrigschwelliges Angebot zur Vernetzung von Jung und Alt. „Soziale Isolation führt am Ende dazu, dass Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen nicht wissen, wen sie ansprechen können, wenn sie Hilfe benötigen“, begründet Boguth diesen Ansatz.
 
Weigelt und Baschinski bieten im Nachbarschaftsladen, gemeinsam mit ihrer Kollegin Nina Karbe, eine solche Begegnungsstätte. Groß sind die Räume dort nicht, aber die Frauen wissen sich zu helfen. Eines ihrer Projekte ist die so genannte Zuhörbank. Zwei Bänke wurden kurzerhand vor dem Laden, in dem es nichts zu kaufen gibt, platziert. Bei gutem Wetter sitzen dort jeden Donnerstag zwei Ehrenamtliche, die Vorbeikommende auf ein „Viertelstündchen Zuhör-Ründchen“ einladen. „Das Angebot wird sehr gut angenommen“, erklärt Weigelt. Die Menschen kämen gerne zum Reden. Dabei seien die Themen vielfältig, wobei der Bedarf „Dampf abzulassen“ gestiegen sei, erzählt sie.
 
Selma Weigelt führt als Koordinatorin eines von drei Standbeinen im Nachbarschaftsladen, die digitale Nachbarschaftshilfe. Sie vermittelt Ehrenamtliche an Menschen, die sich von der Digitalisierung abgehängt fühlen. „Die Bedarfe sind unterschiedlich. Natürlich sind viele Ältere dabei. Manche möchten erklärt bekommen, wie der Messenger WhatsApp funktioniert. Andere brauchen Hilfe dabei, online einen Termin, zum Beispiel beim Bürgeramt zu vereinbaren“, erklärt Weigelt und fügt hinzu: „Es kommen auch Menschen, die Kinder oder Enkelkinder haben. Wenn die ihnen WhatsApp erklären wollen, geht es den älteren Herrschaften oft zu schnell.“
 
Sozialräume werden zu wenig gefördert 
 
Um Unterstützungsbedarfe in der Nachbarschaft zu erkennen, sind soziale Treffpunkte wie der Nachbarschaftsladen in Steglitz wichtig. Doch seine Existenz ist immer wieder gefährdet. Die Finanzierung der Stellen sei ein schwieriges Thema und eine langfristige Planung kaum möglich, sagt Weigelt. Bis 2021 unterstützte Unternehmerin Susanne Klatten den Nachbarschaftsladen finanziell. Weigelt selbst war zu dieser Zeit dort noch nicht tätig. Wie es danach weitergehen sollte, war zunächst unklar. Bis der gemeinnützige Verein Mittelhof e.V. sich bereit erklärte, den Nachbarschaftsladen weiter zu fördern. Allerdings fehlten ihm die Mittel, um mehr als eine Stelle, die von Nina Karbe, zu finanzieren. Sie koordiniert die analoge ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe, die es schon seit Eröffnung gibt. Die beiden Kolleginnen hätten daraufhin gehen müssen, erklärt Weigelt. Sie selbst und ihre derzeitige Mitstreiterin Baschinski seien später dazugekommen. Sie werden von anderer Seite finanziert. Die digitale Nachbarschaftshilfe gibt es aufgrund der Unterstützung durch die Deutsche Fernsehlotterie. Obwohl der Bedarf an Sozialräumen wie dem Nachbarschaftsladen groß ist, wird nur Baschinskis Stelle, die KPE, staatlich gefördert. Seit Oktober 2010 gibt es die KPE in jedem Berliner Bezirk, auch in Berlin-Steglitz, dort seit Anfang 2022 mit neuem Standort im Nachbarschaftsladen in der Berlinickestraße 9.
 
 

Blick ins Jahr 2040: Steglitzerin schimpft beim Berlinicke-Sommerfest auf die Politik des Berliner Senats: „Haben die nach 20 Jahren noch nichts gelernt? Rückt die Kohle raus!“ Foto: giorgiomtb

 

Pflegewissenschaftlerin sieht jüngere Generationen in der Pflicht 
 
Hochschuldozentin Boguth ist sich sicher, ohne Nachbarschaftshilfe und Solidarität in der Gesellschaft sei der demografische Wandel nicht zu schaffen. „Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass unsere Gesellschaft dieser Entwicklung völlig entspannt entgegenblickt. Frei nach dem Motto: „Das wird schon irgendwie werden. Ich glaube, dem ist nicht so. Wir müssen uns hier und heute die Frage stellen, wer uns später einmal pflegt.“ Dabei gehe es nicht nur darum, für die Nachbarn Einkäufe zu erledigen, sondern tatsächlich um Pflege. Sie sagt: „Ich glaube, dass die jüngere Generation sich nicht aussuchen kann, ob sie sich um ältere hilflose Personen kümmert, und zwar mit allem, was dazugehört.“ Die Dozentin für Pflegewissenschaften meint, dass das Pflegepersonal, das es nach dem Ausscheiden der Babyboomer-Generation noch gäbe, Laien nur noch anleiten könne. Mehr Kapazitäten seien in einigen Jahren nicht mehr vorhanden. „Wir können nicht jedem, der pflegebedürftig ist, eine Pflegeperson an seine Seite stellen. Dann müsste jeder vierte Schulabgänger den Pflegeberuf erlernen. Das werden wir nicht schaffen.“
 
 

In den nächsten Jahren wird der Zeitpunkt kommen, an dem professionelle Pflegefachkräfte den Pflegebedarf nicht mehr decken. Foto: Robert Kneschke

 
 
Boguth gibt zu bedenken, dass die so genannten Babyboomer-Generationen auf dem Pflege-Arbeitsmarkt fehlen werden. Sie meint: „Zum einen wird sich die Anzahl der Menschen, die einen Pflegebedarf haben, erhöhen. Gleichzeitig gehen aber auch diejenigen, die jetzt noch im Pflegeberuf sind, aus dem Beruf heraus. Es entsteht also eine riesige Lücke.“
 
Auch wenn es bisher nicht mehr als Schätzwerte darüber gebe, wie viele Pflegerinnen und Pfleger in den nächsten zehn Jahren aus dem Beruf ausschieden, hat Boguth konkrete Ideen, wie die Politik gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern die Pflege auf ein sicheres Fundament stellen könne. Im Gegensatz zu vielen Ansätzen aus der Politik sind ihre Ansätze langfristiger Natur. Neben einem Schulfach, in dem die Grundlagen der Pflege schon in der Schule vermittelt werden könnten, schlägt Boguth Aufklärungskampagnen vor, die sich gezielt an die jüngeren Generationen richten, um auf die Herausforderungen einer immer älter werdenden Gesellschaft aufmerksam zu machen.
 
Berliner und Berlinerinnen formulieren Erwartungen im Bürgerdialog 
 
Auch der Bürgerdialog Pflege, den die ehemalige Gesundheitssenatorin Kalayci auf den Weg gebracht habe, sei ein gutes Mittel, um das Thema des demografischen Wandels und der Pflege im Dialog zu besprechen.
 
Der Dialog „Pflege 2030“, wie er offiziell heißt, wurde von der ehemaligen Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Dilek Kalayci (SPD) initiiert und von Herbst 2019 bis Ende 2020 durchgeführt. Er geht auf die Richtlinien der Vorgängerregierung zurück, in denen ein Ziel explizit formuliert wurde. Die Mitbestimmungsrechte der breiten Berliner Bevölkerung bei der Gestaltung des Pflegesystems sollten gestärkt und im Dialog mit Stadtgesellschaft und Betroffenen eine nachhaltige Perspektive für gute Pflege und Pflegebedingungen in Berlin entwickelt werden. An dem Projekt partizipierten insgesamt 569 Beteiligte, darunter sowohl Experten und Expertinnen als auch Betroffene. Für das Gutachten wurden Wünsche und Erwartungen zufällig aus dem Einwohnermelderegister ausgewählter Personen abgefragt und unter der Leitung des Nexus-Instituts gebündelt. 5.475 Ideen und Empfehlungen entstanden aus dem Dialog. Diese wurden nach Abschluss der Befragungen in sechs Kategorien eingeordnet. Zu diesen gehören unter anderem „Pflege und Gesellschaft“, „Häusliche Pflege/ Pflegebedürftige und Angehörige“ sowie „Finanzierung, Gesetzgebung und Bürokratie“. Die Ratschläge und die Erkenntnisse aus dem Dialog sollten in die konkrete Pflegepolitik übersetzt werden, um zukünftige Angebote und Leistungen im Bereich der Alters- und Pflegeversorgung in Berlin bedarfsgerecht und an den Bedürfnissen der Nutzer ausgerichtet zu gestalten.
 
 

Mehr als 5.000 Ideen entstanden aus dem Dialog „Pflege 2030“ zwischen Betroffenen, Expertinnen und Experten. Foto: alotofpeople

 
 
Die Ergebnisse des Dialogs Pflege 2030 wurden in einem Bürgergutachten veröffentlicht, das unter https://www.berlin.de/sen/pflege/grundlagen/pflege-2030/buergergutachten-pflege heruntergeladen werden kann. Die Fachabteilung Pflege der Nachfolge-Regierung teilte den Stadtrand-Nachrichten auf Nachfrage mit, dass „bereits Vieles von dem, was von der Bevölkerung im Dialog gewünscht wurde“ umgesetzt werde, dies aber „zu wenig bekannt“ sei. Teilweise würden „im Gutachten Themen angesprochen, die in der Verantwortung des Bundes liegen“. Damit meint die Fachabteilung Bereiche, um die sich die Berliner Politik mangels Gesetzgebungskompetenz nicht kümmern kann.
 
Weil es an Planungsstrukturen fehlt: Neuer Fachbereich innerhalb der Abteilung Pflege gegründet  
 
Insgesamt fehlt es in der Berliner Verwaltung an zukunftsfähigen Konzepten. Aus dem Bürgergutachten ergebe sich nach Auskunft der Fachabteilung Pflege innerhalb der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege, dass es bisher „an einer konkreten Systematik mangele“, auf der die Pflege in Berlin weiterentwickelt werden könne und müsse. Als Reaktion sei innerhalb der Abteilung Pflege ein neuer Fachbereich gebildet worden, der den zukünftigen Bedarf an Personal und Strukturen ermitteln solle. Um Betroffene an der Weiterentwicklung der Pflege zu beteiligen, sei bereits im November 2022 die Zusammensetzung des Gremiums Landespflegeausschuss (LPA) erweitert worden. Die Novellierung der Landespflegeausschussverordnung im August 2022 machte es möglich, dass erstmals neben Vertretenden der Kassen und Leistungserbringer auch die Vertretenden der pflegebedürftigen Menschen stimmberechtigte Mitglieder im LPA wurden. Er ist das zentrale Beratungsgremium für Fragen der Pflege nach dem elften Sozialgesetzbuch (SGB XI) und das wichtigste pflegepolitische Gremium des Landes Berlin.
 
Unklar bleibt, wie die Berliner Senatsverwaltung Sozialplaner und Sozialplanerinnen in den Bezirken unterstützen möchte. Von der Fachabteilung Pflege heißt es lediglich, der neue Fachbereich werde ihnen Kenntnisse vermitteln, wie sie bedarfs- und zukunftsorientiert planen könnten.
 
Demografischer Wandel verläuft in Flächenländern anders als in Stadtstaaten 
 
Die demografischen Veränderungen in Deutschland werden regional unterschiedlich verlaufen. Einer Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamts zufolge (Stichtag 31. Dezember 2021), die im Dezember 2022 veröffentlicht wurde, wird die Zahl der Menschen im Alter von 67 Jahren und älter bis zum Jahr 2040 in den westdeutschen Flächenländern voraussichtlich einen Anstieg von 28 bis 35 Prozent erfahren, bevor sie sich auf einem stabilen Niveau einpendelt. Die ostdeutschen Flächenländer hingegen verzeichnen heute bereits eine deutlich ältere Bevölkerung. Hier wird die Zahl der 67-Jährigen und Älteren bis Ende der 2030er Jahre lediglich um 10 bis 17 Prozent zunehmen und sich danach wieder auf das Niveau von 2021 reduzieren.
 
 

Gebäude des Statistischen Bundesamts mit Sitz in Wiesbaden, Foto: Statistisches Bundesamt (Destatis)

 
 
In den Stadtstaaten dagegen wird die Zahl der Menschen ab 67 Jahren bis zum Jahr 2070 voraussichtlich kontinuierlich ansteigen. Bis zum Jahr 2070 könnte die Zahl dieser Altersgruppe um 57 bis 65 Prozent höher liegen als im Jahr 2021.
 
Pflegewissenschaftlerin Boguth ist wegen dieser demografischen Entwicklung der Meinung, Berlin benötige eine Pflegeberufekammer, um einen Überblick über das aktuell tätige Pflegepersonal zu bekommen und die Qualität der Pflege langfristig zu gewährleisten. Dieser Vorschlag ist auch Teil der Ergebnisse des Bürgerdialogs „Pflege 2030“.
 
Eine Pflegeberufekammer entsteht, wenn der Staat einen Teil seiner Regelungsaufgaben auf eine bestimmte Berufsgruppe, hier die Pflegefachkräfte überträgt (Selbstverwaltung). Für die Gründung einer solchen Kammer müssten sich alle Pflegefachpersonen mit staatlich anerkannter Ausbildung in Berlin zusammenschließen. Sie würden registriert und zahlten in der Regel nach Einkommen gestaffelte Mitgliedsbeiträge. Neben der Qualitätssicherung in der Pflege könnte eine solche Kammer auch die demokratische Meinungsbildung in den Pflegeberufen fördern.
 
Pflegesenatorin Czyborra (SPD): Pflegeberufekammer kann Pflege in ihrer Selbstvertretung stärken 
 
Die derzeitige Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege, Ina Czyborra (SPD) ist in Steglitz-Zehlendorf aufgewachsen. In diesem Bezirk, in dem der demografische Wandel bereits sichtbar ist, werden die Menschen im Durchschnitt sehr alt. Älter als in vielen anderen Bezirken. Der Grund besteht unter anderem darin, dass viele Einwohner in Wohlstand leben. Verkürzt könnte man sagen: Je wohlhabender, desto gesünder, desto älter werden die Menschen. Was das Thema Pflegeberufekammer betrifft, meint Czyborra, eine solche könne eine Möglichkeit sein, um die Pflege in ihrer Selbstvertretung zu stärken. Gleichzeitig ist sie aber nicht davon überzeugt, dass ein solches Vorhaben auf politischer Ebene Erfolg haben würde. Die mit einer Pflegekammer verbundenen verpflichtenden Beitragszahlungen sind einer von mehreren Gründen, die Czyborra in diesem Zusammenhang benennt: „Eine Pflegeberufekammer wird von vielen verschiedenen Seiten in Berlin abgelehnt, auch von Menschen in Pflegeberufen. Wenn man die Pflegenden fragt, ob sie eine Pflegekammer möchten, bejahen sie das zunächst. Wenn man dieselbe Gruppe dann aber fragt, ob sie Kammerbeiträge bezahlen würden, antworten viele von ihnen mit einem klaren Nein.“ Auch die Gewerkschaften seien massiv gegen eine Pflegeberufekammer, obwohl sie selbst die Pflege nicht immer im Fokus gehabt hätten, fügt sie ergänzend hinzu.
 
Czyborras mögliche Lösungen für den Pflegenotstand bestehen in der Hoffnung auf Zukunftsentwicklungen, die es (noch) nicht gibt. Vieles läge zudem nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich, sondern beim Bund. Sie setzt unter anderem auf das Thema Zuwanderung. Sie sagt: „Es gibt viele Menschen, die zu uns nach Deutschland kommen wollen, weil wir einen hohen Lebensstandard haben. Insofern müssen wir keine so große Angst davor haben, dass in einigen Jahren niemand mehr da ist, der uns pflegt, wenn wir eine vernünftige Zuwanderungs- und Qualifizierungspolitik führen.“ Czyborra hofft außerdem auf Medizinforschung und wünscht sich, dass diese weiter vorangetrieben wird, um die Multimorbidität, also das gleichzeitige Leiden eines Menschen an mehreren Krankheiten, zu verringern. Als Beispiele nennt sie das Ziel, sowohl präventiv als auch durch medikamentöse Behandlung Demenz und Diabetes heilen oder verhindern zu können. Ursachen dafür, dass schon jetzt der Bedarf an Pflegepersonal groß ist, sieht Czyborra in schlechten Strukturen im Gesundheitswesen. „Wir leisten uns unfassbar ineffektive Systeme. Deswegen machen wir jetzt Krankenhausreformen, um die Fachkräfte, die wir haben, optimal einzusetzen.“ Es sei im Moment ein extremer Druck im System, das „versäulte“ Gesundheitssystem mit seinen Sektoren der ambulanten und stationären Versorgung neu zu denken und aufzustellen, so Czyborra. Ausweichend antwortet die Senatorin auf die Frage nach konkreten Ansätzen in der Berliner Politik, um die langfristigen Folgen des demografischen Wandels abzufedern. Sie sagt: „Über gesetzliche Regelungen, wie zum Beispiel die Pflegekassen aufgestellt werden und wer welche Leistungen bezahlt, muss der Bund entscheiden. Erst dann können wir in Berlin solche gesetzlichen Rahmenbedingungen ausfüllen.“
 
 

Ina Czyborra von der SPD (links im Bild) sieht Handlungsbedarf wegen des demografischen Wandels, hofft aber auf die Fortschritte in der Medizinforschung

 
 
In Steglitz-Zehlendorf trotzt der Nachbarschaftsladen allen Widrigkeiten und bleibt vorerst Anlaufstelle für Ehrenamtliche und Menschen, die Kontakt suchen oder Hilfe im Alltag benötigen. Im Winter lädt heißer Kaffee auf dem Tisch vor dem Laden zum Innehalten ein, im Sommer stehen Wasser und andere Erfrischungen zur Verfügung. Wer nicht mag, muss nicht eintreten. Tassen oder Gläser gibt es „to go“, mit der Bitte, sie beim nächsten Vorbeigehen wieder dort abzustellen.
 
Angebote im Nachbarschaftsladen Steglitz 
 
Adresse: Berlinickestr.9, 12165 Berlin
Sprechzeiten: Jeden Montag 10-12 Uhr und Donnerstag 15-18 Uhr und nach Vereinbarung
 
Digitale Nachbarschaftshilfe 
 
Ansprechpartnerin: Selma Weigelt
Telefon: 030 27 97 98 96
E-Mail: weigelt@mittelhof.org
nachbarschaftshilfe@mittelhof.org
 
Analoge Nachbarschaftshilfe 
 
Ansprechpartnerin: Nina Karbe
Telefon: 030 27 97 97 27
E-Mail: karbe@mittelhof.org
nachbarschaftshilfe@mittelhof.org
 
Kontaktstelle PflegeEngagement 
 
Ansprechpartnerin: Susanne Baschinski
Telefon: 030 27 97 97 28
E-Mail: baschinski@mittelhof.org
 
 
 
Junia Greb-Georges 

 

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